Ostjuden

Ostjuden
Ọstjuden,
 
im 19. Jahrhundert in Mittel- und Westeuropa aufgekommene Bezeichnung für die ost- und südosteuropäischen Juden (Aschkenas). Erstmals von dem Wiener Schriftsteller Nathan Birnbaum, Pseudonym Mathias Acher (* 1864, ✝ 1937) gebraucht, bringt die Bezeichnung Ostjuden über den geographischen Aspekt hinaus die unterschiedlichen Entwicklungen im europäischen Judentum zum Ausdruck. Im Gegensatz zu den von Aufklärung und Emanzipation (Haskala) geprägten Westjuden grenzten sich die stark traditionsgebundenen Ostjuden durch ihre verfestigten Lebensgewohnheiten, die jiddische Umgangssprache, die strenge rabbinische Orthodoxie und den Chassidismus weitgehend gegenüber den Einflüssen der Moderne ab. Ein prägnanter Ausdruck der ostjüdischen Lebensweise - und vielfach in der jiddischen Literatur beschrieben - war das Leben im Stetl; ein Zentrum ostjüdischer Kultur- und Geisteslebens war Galizien. Hinsichtlich ihrer sozialen Stellung gehörten die meisten Ostjuden als Handwerker, Kleinhändler und Arbeiter den unteren sozialen Schichten an. In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts führten das starke Wachstum der ostjüdischen Bevölkerung und die damit verbundene Verschlechterung der Erwerbsmöglichkeiten, in Russland zudem eine die Juden in ihren wirtschaftlichen und Bildungsmöglichkeiten stark beschränkende Gesetzgebung (aber auch Pogrome), zur Abwanderung zahlreicher Ostjuden nach Westeuropa; ab 1882 v. a. nach Nordamerika (1881-1914 etwa 2,5 Mio.). Für viele Ostjuden war die Integration in den Zuwanderungsländern mit großen sozialen Problemen verbunden, wobei westjüd. Vorurteile eine bedeutende Rolle spielten. Umgekehrt lehnten viele Ostjuden das assimilierte Westjudentum ab und stellten ihm eine bewusste »Jiddischkeit« oder eine entschiedene Hinwendung zur zionistischen Palästinasiedlungsbewegung entgegen (Zionismus). Die politische Elite des jungen Staates Israels war ostjüdischer Herkunft. Bis zur Vernichtung des Ostjudentums im Holocaust (1939-45) bildeten die Ostjuden die zahlenmäßig größte jüdische Gemeinschaft.
 
 
S. Adler-Rudel: O. in Dtl. 1880-1940 (1959);
 A. Manners: Poor cousins (New York 1972);
 I. Howe: World of our fathers (ebd. 1976);
 M. Berman: The attitude of American Jewry towards East European Jewish immigration, 1881-1914 (ebd. 1980);
 
Das Ostjudentum, hg. v. P. von der Osten-Sacken (1981);
 S. E. Aschheim: Brothers and strangers (Madison, Wis., 1982);
 S. Birmingham: The rest of us (Boston, Mass., 1984);
 T. Maurer: O. in Dtl. 1918-1933 (1986);
 A. Wodenegg: Das Bild der Juden Osteuropas (1986);
 J. Wertheimer: Unwelcome strangers. East European Jews in imperial Germany (New York 1987);
 
East European Jews in two worlds, hg. v. D. D. Moore (Evanston, Ill., 1990);
 H. Haumann: Gesch. der O. (31991);
 
O. auf Wanderschaft, hg. v. A. Goral (1994).
 
Weitere Literatur: Judentum.

Universal-Lexikon. 2012.

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